DIE 3 VOC-HÜRDEN FÜR
DEN HOLZBAU
Holz als Baumaterial für moderne Gebäude-Architektur. Ein Projekt von buchner + wienke architekten mit Martina Trixner Architekturbüro Fotograf: Marcus Bredt
HÜRDE 1
Anforderungswerte für die Innenraumluft
Zuständigkeit:
Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) beim Umweltbundesamt (UBA)
Gesundheitsministerien der Länder
Summenwerte wie der VOC-Summenwert TVOC werden nicht per Gesetz geregelt. Dennoch wird dieser toxikologisch nicht belastbare Wert für qualitative Anforderungen fälschlich angewandt. Ausschreibungen, Bauvorgaben und Zertifizierungen beziehen sich regelmäßig auf einen nachzuweisenden TVOC, ohne dessen Zusammensetzung zu berücksichtigen.
Messungen in neu errichteten Holzgebäuden ergeben zwangsläufig hohe VOC-Werte, da das „frisch“ verbaute Holz eine gewisse Zeit braucht, bis die natürlichen
Emissionen meist in wenigen Wochen abgeklungen sind. Das gilt auch für holzbasierte Bauprodukte wie OSB. Insbesondere wenn sie aus harzreichen Holzarten wie Kiefer hergestellt sind.
Doch diese Messwerte lassen keinen Rückschluss auf eine Gesundheitsgefahr zu. Eine Überschreitung hat keine qualitative oder toxikologische Aussagekraft.
buchner + wienke architekten haben 2019 mit ihrer Holzbauaufstockung auf einem Wohngebäude den Berliner Holzbaupreis gewonnen. Foto: Marcus Bredt
! Wir fordern Sie deshalb auf:
Entschärfen Sie die vom AIR festgelegten Innenraumrichtwerte in Bezug auf die Stoffverbindungen der Terpene und Aldehyde.
Damit erkennen Sie den Wissenschaftsstand und umfangreiche Erfahrungen aus der Holzbaupraxis an.
Legen Sie einen Überschreitungsfaktor der Anforderungswerte für Gebäude im Neubauzustand fest. Denn nur so findet das Abklingverhalten von Holz und anderen „frisch“ verbauten Materialien Berücksichtigung!
Mehr Wissen über Anforderungswerte für die Innenraumluft:
Beispiele für VOC aus natürlichen Quellen
(VOC = flüchtige organische Verbindungen)
Heu
Manche Menschen gehen für das
Heu-Aroma sogar in ein Heu-Hotel.
Holz
Inhaltsstoffe aus Nadelholz, z. B. in
berühmten Alpen-Zirben-Stuben.
Lavendel
Wirkt beruhigend oder im Kleider-
schrank gegen Motten.
Zwiebeln
Was im Auge beißt, sind die VOC
aus den Zwiebelzellen.
Zitrusfrüchte
Der frische Duft beim Schälen
entsteht durch VOC.
DIE 3 VOC-HÜRDEN FÜR DEN HOLZBAU
HÜRDE 1:
Anforderungswerte für den Innenraumluft
Zuständigkeit:
Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) beim Umweltbundesamt (UBA)
Gesundheitsministerien der Länder
HÜRDE 2:
Zertifizierungsanforderungen und öffentliche Ausschreibungen
Zuständigkeit:
Bundes- und Landesministerien für Bauen, Wirtschaft, Umwelt
Öffentliche Auftraggeber
Bewertungs- und Zertifizierungsstellen (QNG, BNB, DGNB, sentinel, TÜV, …)
HÜRDE 3:
Anforderungen an die Geruchsbildung in Innenräumen
Zuständigkeit:
Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) beim Umweltbundesamt (UBA)
Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt)
Bauaufsicht
TVOC-Wert
Die Bauministerkonferenz beschloss, in der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) Vorgaben zur VOC-Produktprüfung für Span- und OSB-Platten einzuführen. Die VOC-Regelungen (ABG bzw. AgBB-Schema[1]) fanden 2019 Einzug in die MVV TB (Anhang 8) und anschließend entsprechend in die jeweiligen Landesbauordnungen. Gegen diese VOC-Regelungen wurde Klage erhoben und die unter 2.2.1.1 enthaltenen Anforderungen an VOC-Emissionen in Anhang 8 der BayTB für unwirksam erklärt:
- TVOCspez (Summe der flüchtigen organischen Verbindungen)
- TSVOC (Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen)
- R-Wert (nach Einzelstoffbewertung gebildeten Summen-Wert)
- TVOC ohne NIK (Mengenbegrenzung für nicht bewertbare VOC).
Gerichtsurteile zum TVOC-Summenwert
Die Urteilsbegründung des VGH Bayern schloss sich nach nochmaliger und eingehender Prüfung der Studienlage einer Entscheidung des VGH Baden-Württembergs an. Das Vorliegen einer konkreten oder abstrakten Gefahr sei nicht zu erkennen. Das Gericht stellte fest, dass keine hinreichenden wissenschaftlichen Anhaltspunkte bestehen, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden bei Überschreiten der in Anhang 8 Nr. 2.2.1.1 festgelegten Summengrenzwerte TVOCspez, TSVOC, R-Wert sowie Mengenbegrenzung TVOC ohne NIK rechtfertigen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie ein allein aus der Menge der auftretenden VOC-Emissionen gebildeter Summengrenzwert die Gefahrenschwelle zu einer Gesundheitsgefährdung abbilden könne, da nicht die Summe der VOC, sondern die Art und Anteile der einzelnen Verbindungen für die Toxizität entscheidend sei.
Summenwerte wie der TVOC-Wert seien aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung des in der Innenraumluft auftretenden Substanzgemisches keine zuverlässigen gesundheitsbezogenen Indikatoren. Das Vorhandensein von VOC-Emissionen sowie deren Summe lasse noch keinen Schluss über die Gefährdung der menschlichen Gesundheit zu. Das Prinzip der Additivität entspräche nicht dem toxikologischen Erkenntnisstand, hierfür müsse eine gemeinsame Wirksensorik bestehen. Dementsprechend habe der TVOC-Wert keine konkrete toxikologische Basis.
Mit diesen Urteilen ist der TVOC-Wert allein rein rechtlich unzulässig und nicht mehr haltbar. Als Folge beschloss die Bauministerkonferenz richtigerweise, die o.a. VOC-Anforderungen für Span- und OSB-Platten aus der MVV TB 2022/1 zu streichen und die Regelungen an die Gerichtsurteile anzupassen. Leider wurde in diesem Zuge nicht der TVOC-Wert aus der MVV TB gestrichen, sondern lediglich die VOC-Anforderungen für Span- und OSB-Platten. Hier gilt es nachzubessern.
TVOC ungeeignet für gesundheitsbezogene Bewertung
Im Jahr 2022 veröffentlichte Prof. Dr. Tunga Salthammer vom Fraunhofer WKI die Publikation TVOC – Revisited, in der er eine kritische Analyse des TVOC-Wertes vornimmt. Er kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Verwendung von TVOC im Zusammenhang mit gesundheits- oder geruchsbezogenen Fragen weder empfehlenswert noch möglich sei. Der TVOC berücksichtige nicht die toxikologischen Eigenschaften der einzelnen Stoffe für die inhalative Exposition, denn verschiedene Stoffe haben in der Regel unterschiedliche toxikologische Wirkungen, die für eine Risikobewertung nicht einfach aufsummiert werden können. Somit sei der TVOC nicht geeignet für eine gesundheitsbezogene Bewertung von Innenraumluftqualität, eine gesundheitsbezogene Bewertung von Produkten oder eine geruchsbezogene Bewertung von Innenraumluftqualität.
Somit ist der TVOC-Wert auch aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig nicht geeignet, um als VOC-Anforderung in Ausschreibungen, Qualitätssiegeln oder Zertifizierungen verwendet zu werden.
TVOC-Wert als Kriterium für Innenraumluft streichen
Leider ist der TVOC-Wert trotz der eindeutigen rechtlichen und wissenschaftlichen Sachlage in vielen freiwilligen Zertifizierungssystemen, Qualitätssiegeln und Ausschreibungen weiterhin als festes Kriterium mit relativ strengen Anforderungswerten an Innenraumluftqualität und Bauproduktemissionen enthalten (QNG, DGNB, BNK, BNB, Blauer Engel, natureplus, NaWoh, u.a.m.). Dieses Hemmnis beim Bauen mit Holz muss aufgrund der wissenschaftlichen und rechtlichen Basis abgebaut werden, um das klimafreundliche Bauen mit Holz, wie es auch in der Holzbauinitiative der Bundesregierung befürwortet wird, zu ermöglichen.
Die toxische Wirkung eines Stoffes auf ein Lebewesen hängt neben seiner Giftigkeit entscheidend von der Dauer und Exposition, d.h. von der Dosis und Art ihrer Aufnahme (Inkorporation) ab. Die komplexe Stoffeigenschaft „Toxizität“ hat damit eine qualitative Komponente (z.B. Wirkmechanismus oder Organbezug) und eine quantitative Komponente, die die toxische Potenz des Stoffes (u.a. die Dosis-Wirkungs-Beziehung) beschreibt. Dementsprechend ist es wichtig, Anforderungswerte für Stoffe toxikologisch abzuleiten, richtig einzuordnen und faktenbasiert festzulegen. Für eine fundierte Bewertung sind Einzelstoff-Richtwerte maßgeblich (RW I/RW II, LCI/NIK). Gerade in Zeiten, in denen Ressourceneffizienz, Rohstoffsicherheit und Klimaschutz im Vordergrund stehen, können wir uns die Nicht-Nutzung wie z.B. der Kiefer als wichtige, klimafreundliche und nachwachsende Ressourcen durch unzulässige Behinderungen nicht leisten.
[1] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4031/dokumente/agbb_bewertungsschema_2021.pdf
Terpene
Im Rahmen der Studie GesundHOLZ konnte wissenschaftlich fundiert nachgewiesen werden, dass die aus Holz und Holzwerkstoffen emittierenden Terpene bei den in der Innenraumluft erwartbaren Konzentrationen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen hervorrufen. Die Ergebnisse der Studie rechtfertigen eine kritische Überprüfung der Innenraumrichtwerte für bizyklische Terpene (a-Pinen, b-Pinen, 3-Caren). Mit einer angemessenen Anpassung wäre ein wesentlicher Hemmschuh für den Einsatz der Holzart Kiefer aus dem Weg geräumt. Ein Vorschlag hierzu hat der DHWR dem Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) im Oktober 2023 zukommen lassen. (Antrag auf Änderung der Richtwerte RW II und RW I für Σ Bizyklische Terpene)
C4- bis C11-Aldehyde
Der aktuell sehr niedrige RW I-Wert für gesättigte azyklische aliphatische C4– bis C11-Aldehyde, der bei Ausschreibungen sehr häufig als Grundlage gefordert wird, ist für alle Gebäude aus Holz ein potenzieller Stolperstein, da Hölzer diese zwar abklingend aber natürlicherweise emittieren. Dieser wurde für die genannten Aldehyde aus Gründen angenommener störender Geruchsbildung unnötig niedrig angesetzt. Es konnte bei zahlreichen Messungen und Feldstudien selbst bei höher festgestellten Messwerten keine wahrnehmbare Geruchsbildung festgestellt werden. Unabhängig davon, dass auch hier die Sinnhaftigkeit einer Summenwertbildung kritisch zu hinterfragen wäre, hat die Holzwirtschaft in einer Eingabe an den Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) vorgeschlagen (Erhöhung des Summenrichtwerts RW I für gesättigte azyklische aliphatische C4- bis C11-Aldehyde), den Innenraumrichtwert RW I angemessen zu erhöhen (z.B. Faktor 2 bis 3). Daher muss der RW-I Wert als Komfortwert für diese Stoffgruppe angehoben und damit entschärft werden.
Sachgerechte Interpretation und Bewertung des Abklingverhaltens und der klimatischen Rahmenbedingungen bei der Emissionsmessung
Im Rahmen des FNR-Forschungsvorhabens HoInRaLu wurde überzeugend nachgewiesen, dass ein quantitativer Rückschluss von Produktemissionen aus Kammerprüfungen auf die Realsituation eines Innenraumes nicht bzw. nur sehr begrenzt möglich ist. Zudem zeigen die Ergebnisse aller Raumluftmessungen, dass das natürliche Abklingverhalten von Holz dazu führt, dass schon wenige Wochen nach dem Einbau eine starke Verringerung der holztypischen Emissionen zu verzeichnen ist.
Darüber hinaus haben die klimatischen Rahmenbedingungen der Messung einen großen Einfluss auf das Messergebnis (Momentaufnahme). Eine Einhaltung der normgerechten Randbedingungen bei Raumluftmessungen wie z. B. die Einbeziehung der Nutzungsbedingungen ist nachweislich einzuhalten. Die klimatischen Rahmenbedingungen – Außentemperatur, Innenraumtemperatur, Innenraumluftfeuchte, Luftwechselrate – sind stets zu überprüfen und beim Abgleich der Messwerte zu den Anforderungswerten einzubeziehen. Beispielsweise ist im Falle einer hohen Außentemperatur und/oder eines hohen Diffussionsdruckes (Umkehrdiffussion im Sommer) eine Relativierung der Messergebnisse notwendig, ggf. eine spätere Nachmessung unter angenäherten Normbedingungen angesagt.
Bleiben Sie informiert
Kontakt
DHWR
Deutscher Holzwirtschaftsrat e.V.c/o HDH e.V. Chausseestr. 99
10115 Berlin
Tel.: +49 30 / 39 88 724 50
E-Mail: mail@dhwr.de
Der DHWR ❯
Holzwirtschaft ❯
Aktuelles ❯
Presse ❯
Impressum ❯
Datenschutz ❯

